Rudolf Petershagen
(4. Juni 1901 - 13. April 1969)
Gedanken zum 50. Todestag eines Ehrenbürgers
Als Rudolf Petershagen am 13. April 1969 im Alter von 67 Jahren in Greifswald starb, erwiesen ihm neben Staats- und Parteifunktionären der DDR und der UdSSR unzählige Bürger die letzte Ehre. Bereits zu Lebzeiten war Petershagen mit Ehrungen überhäuft worden. Sein Buch „Gewissen in Aufruhr“ und der darauf basierende gleichnamige fünfteilige Fernsehfilm erreichten einen immensen Bekanntheitsgrad. Der sich im April 2019 jährende 50. Todestag Petershagens ist Anlass, auf seine Biographie, in welcher sich die Brüche und Konflikte des 20. Jahrhunderts spiegeln, zurückzublicken.
1901 in Altona als Kaufmannssohn geboren, schloss sich der Oberrealschüler 1919 dem Sturmbataillon Schmidt, einem Berliner Freikorps, an. Im Jahr darauf trat der junge Grenadier Rudolf Petershagen in das 9. (Preußische) Infanterie-Regiment der Reichswehr ein. Die Zugehörigkeit zu diesem traditionsreichen Potsdamer Regiment prägte die Persönlichkeit Petershagens, der 1925 zum Leutnant ernannt wurde. 1935, Petershagen war Hauptmann und Kompaniechef in diesem, jetzt als Infanterie-Regiment Potsdam bezeichneten Regiment, ehelichte er die einer Offiziersfamilie und dem unbegüterten Landadel entstammende Angelika, geborene von Lindequist.
Im Zuge der mit den Kriegsvorbereitungen einhergehenden Heeresvergrößerungen wurde Petershagen 1937 zum Infanterie-Regiment 92 ins pommersche Greifswald versetzt. Mit seiner Ehefrau bezog er eine Wohnung am Pommerndamm, der heutigen Rudolf-Petershagen-Allee. Im Balkanfeldzug und im Krieg der Wehrmacht gegen die Sowjetunion befehligte Petershagen das II. Bataillon seines Greifswalder Regiments. 1942 erhielt er das Ritterkreuz, im Herbst desselben Jahres wurde er zum Oberst und Kommandeur des nunmehrigen Grenadier-Regiments 92 ernannt, das im Verbund der 6. Armee vor Stalingrad kämpfte. Von dort Ende 1942 schwer verwundet ausgeflogen, verbrachte er die folgenden Monate im Luftwaffenlazarett Greifswald. Nicht mehr frontdiensttauglich, übernahm er Anfang 1945 die Geschäfte des Kampfkommandanten in Greifswald. Befehlsgemäß hätte er als solcher die Stadt gegen die anrückenden Einheiten der sowjetischen Armee unter Inkaufnahme sinnloser Zerstörungen und ziviler Opfer verteidigen müssen.
Die im Widerspruch zur Befehlslage erfolgte kampflose Übergabe der Stadt Greifswald an die Rote Armee am 30. April 1945 – ein in der Kriegsschlussphase einmaliger Vorgang – war vor allem andern eine militärische Angelegenheit. Entscheidend für das Gelingen war die improvisierte nächtliche Fahrt der von Petershagen bevollmächtigten Parlamentäre in die sowjetischen Stellungen im zerstörten Anklam, wo die Übergabeverhandlungen stattfanden. Als Hauptakteure der kampflosen Übergabe sind somit Offiziere im Stab des Kampfkommandanten, welchem die Schlüsselrolle zufiel, und die von Petershagens Vertreter Max Otto Wurmbach geführten Parlamentäre Carl Engel und Gerhardt Katsch, sämtlich Angehörige der NS-Funktionselite, auszumachen. Allen seither ausgetragenen Kontroversen zum Trotz ist dieser Befund eindeutig, er schmälert nicht das Verdienst anderer Beteiligter, die ebenfalls ihr Leben für die Rettung der Stadt und ihrer Bewohner einsetzten.
Zum Wendepunkt in Petershagens Biographie wurde jedoch nicht die Rettung der Stadt Greifswald vor der Zerstörung am Ende des Krieges, sondern seine Verurteilung und Inhaftierung als vermeintlicher Sowjetspion in der Bundesrepublik 1952. Der historische Rahmen dieser wohl folgenschwersten Weichenstellung in Petershagens Leben sind der Kalte Krieg und die Teilung Deutschlands an der Schnittstelle der sich herausbildenden, einander feindselig gegenüberstehenden Blöcke. Seine Kontakte zu früheren Offizierskameraden in Westdeutschland nutzend, wandte sich Petershagen gegen die von Bundeskanzler Adenauer betriebene Westintegration und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Petershagen handelte damit ganz im Sinne der NDPD, die 1948 in der sowjetisch besetzten Zone gewissermaßen als „Filiale“ der SED zum Zweck der Integration des nationalkonservativen Milieus gegründet worden war und der er nach seiner Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft beitrat. Vom damaligen, die Einheit Deutschlands propagierenden Kurs der SED wich die „Westpolitik“ der NDPD nur in Nuancen ab. Ein US-amerikanisches Militärgericht befand Petershagen im Januar 1952 für schuldig, sich durch Spionage und Förderung von den Alliierten Streitkräften feindlich gesonnenen Organisationen – namentlich der Nationalen Front – gegen die Sicherheit und die Interessen der westlichen Besatzungsmächte betätigt zu haben.
Das Urteil, eine Gefängnisstrafe von zweimal sechs Jahren, zu verbüßen im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg am Lech, darf mit Blick auf die karge Beweislage als Akt politischer Justiz in einem rechtsstaatlichen Rahmen bezeichnet werden. Als Kämpfer gegen die Westintegration und Wiederaufrüstung der Bundesrepublik erfuhr Petershagen allerdings nunmehr die volle Unterstützung der SED. In deren gegen die Bundesrepublik gerichtetes Propagandakonzept fügte sich die Geschichte des wegen eben dieses Kampfes in Westdeutschland inhaftierten ehemaligen Offiziers nahtlos ein. 1955 wurde Petershagen begnadigt und gegen einen in der DDR einsitzenden Häftling ausgetauscht. Nach der Entlassung aus dem Zuchthaus Straubing – dorthin war er nach der Aufhebung des Besatzungsstatuts aus Landsberg verlegt worden – kehrte er in die DDR, nach Greifswald, zurück, wo er nunmehr auch offiziell als der Retter Greifswalds anerkannt wurde.
Die Petershagen im Oktober 1955 verliehene Ehrenbürgerurkunde würdigte ihn – in dieser Reihenfolge – als den „patriotischen Kämpfer gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands, für den Frieden und die demokratische Wiedervereinigung Deutschlands“ und als „Initiator“ der kampflosen Übergabe der Stadt Greifswald an die Rote Armee. Aus der Person mit lediglich lokaler Bedeutung war eine solche von überregionalem Rang geworden, die ihren Platz in der internationalen Systemauseinandersetzung gefunden hatte.
In seinem 1957 in erster Auflage erschienenen Buch „Gewissen in Aufruhr“ zeichnete Petershagen die Geschichte seines persönlichen Wandlungsprozesses vom Berufsoffizier, der angesichts der im deutschen Namen verübten Verbrechen und in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft seine politische Läuterung erfuhr und der die neu gewonnenen Ideale auch in US-amerikanischer Kerkerhaft nicht verleugnete. Das Werk stand recht eigentlich am Beginn der sogenannten Wandlungsliteratur, also jenes literarischen Genres, mit welchem der Verlag der Nation, Parteiverlag der NDPD, einen Kontrapunkt zu in der Bundesrepublik erschienenen apologetischen Generalsmemoiren zu setzen suchte.
Nach dem Ende der DDR geriet das „Monument“ Rudolf Petershagen ins Wanken. Seit Anfang der 1950er Jahre hatte er bedingungslos die Politik der DDR im In- und Ausland vertreten, was Kontakte zum MfS, das ihn als Informanten führte, einschloss. Petershagens Parteinahme für die Politik der SED, der er freilich nie angehört hat, ist der eigentliche Grund dafür, weshalb er in der DDR ab Mitte der 1950er Jahre zur „Ikone“ der kampflosen Übergabe Greifswalds aufgebaut und nach 1990 – zumindest im überregionalen geschichtspolitischen Diskurs – als solche gestürzt worden ist. Mit den Ereignissen in Greifswald am Ende des Zweiten Weltkriegs wird sein Name jedoch zu Recht verbunden bleiben.
Uwe Kiel
Stadtarchiv Greifswald, April 2019
Zitation:
Uwe Kiel: Rudolf Petershagen (4. Juni 1901 - 13. April 1969). Gedanken zum 50. Todestag eines Ehrenbürgers, veröffentlicht am 26.4.2019